Was sind Uilleann Pipes?
Hinter diesem zweisprachigen Begriff verbirgt sich die weltweit höchstentwickelte, in Irland im Laufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts entstandene Bauform von Dudelsäcken. Das erste augenfällige Merkmal ist, dass sie balgbetrieben sind. Die Luft wird nicht von einem meist stehenden Spieler mit einem Mundstück in den Luftsack hineingeblasen, sondern mittels eines Blasebalgs, der mit dem Arm bzw. Ellenbogen des immer sitzenden Spielers bedient wird. Daher auch der Name „Uilleann“ = irisch für „Ellenbogen“ [gesprochen: „illen“ oder „illjenn“, je nach irischer Region] und Pipes = englisch für „Pfeifen“.
Ein weiteres markantes äußeres Merkmal ist die Position der Bordunpfeifen: Anders als bei der hierzulande bekanntesten Dudelsackform, den schottischen Highland-Pipes, stehen sie nicht aufrecht nach oben, sondern ruhen auf den Beinen des sitzenden Spielers.
Für den Laien weniger auffällig, aber aus musikalischer Sicht noch weitaus bedeutender sind die Eigenschaften der Melodiespielpfeife („Chanter“). Sie wurde im Laufe der Zeit dahingehend entwickelt, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Dudelsäcken
• Pausen spielbar sind,
• chromatisches Spiel in einem Tonumfang von 2 Oktaven möglich ist
• innerhalb gewisser Grenzen auch dynamische Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Einzigartig ist zudem bei den Uilleann Pipes, dass sie noch drei zusätzliche Pfeifen haben: die sogenannten Regulatoren („regulators“). Diese liegen auf den Bordunpfeifen und sind mit geschlossenen Klappen versehen. Werden die Klappen während des Spielens bedient, entstehen Begleittöne zur auf dem Chanter gespielten Melodie.
Die einzelnen Komponenten der Uilleann Pipes sind somit Chanter, Luftsack („bag“) und Blasebalg („bellows“), Bordunpfeifen („drones“) und Regulators.
Ein „Full Set“ hat alle diese Komponenten. Es gibt aber auch „Practice Sets“, die meist für den ersten Anfang genutzt werden. Sie haben nur Chanter, Luftsack und Bellows. „Half Sets“ haben zusätzlich ein bis drei Drones.
Die Uilleann Pipes gehören nach wie vor zu den typischsten und konsequentesten Vertretern der traditionellen irischen Musik und wurden nicht nur durch Bands wie „The Chieftains“, „Planxty“ oder „Bothy Band“ bekannt, sondern auch durch Tanzshows („Riverdance“) und Spielfilme („Titanic“ oder „Braveheart“).
Entstehung und Geschichte
Dudelsäcke gab es in Irland seit unbekannt langer Zeit, in Form der píob mór (Große Pfeife), auch War Pipes genannt, einem Instrument, das funktionsmäßig und von der Konstruktion her den frühen Formen der schottischen Great Highland Pipe entsprach: Zwei Bordune und eine Melodiepfeife mit neun Tönen, klangstark für den Einsatz im Freien, für militärische Signale, zur Darstellung der Identitäten der Clans und ihrer Führer, für allerlei Brauchtum etc. Seit ca. 200 Jahren sind sie ausgestorben.
Die Uilleann Pipes haben eine davon unabhängige Entstehungsgeschichte, Konstruktion und Musik. Nur wenige Elemente sind direkt von den War Pipes auf die Tradition der Uilleann Pipes übergegangen.
Als das Instrument in der Zeit zwischen 1730 bis 1810 von professionellen Holzblasinstrumentenbauern schrittweise entwickelt wurde, hatten diese eine andere Musik im Blick als die traditionelle Musik. Durch die Veröffentlichung von James MacPherson’s (1736 – 1796) „Poems of Ossian“ 1763 wurde auch in den höheren Gesellschaftsschichten der britischen Inseln ein großes Interesse für die Kultur der keltischen Regionen geweckt. Man wurde nicht nur aufmerksam auf die „National airs – author and date unknown“, wie die Volksmelodien damals benannt wurden, sondern auch auf die sehr beliebten neu komponierten Kunstlieder und Instrumentalstücke in betont keltischer Stilistik.
Die „national airs“ wurden auch mit neuen Texten für die Opernbühnen zu Balladenopern zusammengefasst und erfreuten sich großer Beliebtheit besonders unter den irisch– und schottischstämmigen Kreisen. Aber auch für die englische Gesellschaft war der keltische Stil hochattraktiv, nicht nur bezüglich der Musik. Die berühmtesten Werke waren „Oscar and Malvina“ von William Reeve und John Gay’s „Beggar’s Opera“. Letztere zeigte schon 1726 einen Piper auf der Bühne.
Aber auch höfische Tänze wie Menuette und Gavotten sowie Glees (hymnische Festlieder) und Catches (derbe Trinklieder) finden sich in den frühen Sammlungen und Lehrbüchern für die „New Pastoral“ und „Union“ Pipes. Jede eingängige Melodie, die auf den neuen Instrumenten spielbar war, wurde gerne genommen.
Die Iren haben damals im 18. Jahrhundert vielen Sackpfeifenmachern über die Schulter geschaut: Die Deutschen bauten Bordunpfeifen in einem gemeinsamen Stock (Hümmelchen), die französischen Hofinstrumentenbauer fertigten Dudelsäcke mit Blasebalg an, mit engen Bohrungen und mehreren Melodiepfeifen (Musette de cour) Punkt. Aber es war ein Ire, John Geogheghan, der die zündende Idee hatte: Er schloss eine Barockoboe an einen Sack und Blasebalg mit zwei Bordunen an. So entstand die „New Pastoral Bagpipe“.
Pastoral Pipes, spätes 18. Jhd., Nationalmuseum Schottland
Der Begriff „pastoral“ bedeutet „hirtenmäßig“ und beschreibt dabei eine bestimmte musikalische Idee. Es geht um Melodien, die im Gegensatz zu aufwändigen kompositorischen Werken großer Meister dem einfachen Volk abgelauscht und aufgezeichnet und dann von fähigen Musikern für den Genuss durch die feine Gesellschaft bühnenfertig arrangiert sind, oder um Neukompositionen in eben diesem Stil. „Pastoral“ verweist auch auf die Schäferspiele zu Versailles und den nachahmenden Fürstenhöfen, für die man schon im 17. Jahrhundert Dudelsack (Musette de court) und Drehleier zu Hochleistungsinstrumenten ausgebaut hat. Diese baulichen Verbesserungen wurden in den Regionen, in denen es eine lebendige Sackpfeifentradition gab, weitergetrieben und führten auf den britischen Inseln zur Entwicklung der „Parlour Pipes“ (Wohnzimmer–Pfeifen), unter die die Northumbrian Pipes, die Highland und Lowland Small Pipes, die Border Pipes und eben die Pastoral und Union / Uilleann Pipes fallen.
Die Spielpfeife in Form der offenen Barockoboe wurde dahingehend verbessert, dass man sie aufs Knie aufsetzen konnte, so dass Pausenspiel möglich wurde. Immer mehr Pfeifen wurden angebaut, und das heutige Standardinstrument hat drei abschaltbare Bordune (d‘ – d – D), drei „Regulatoren“ (regulators), Pfeifen mit geschlossenen Klappen die Harmonieakkorde zu Melodie und Bordunen ermöglichen, und der Melodiepfeife, die zwei Oktaven in voller Chromatik bringt, Pausenspiel ermöglicht und auf der in Grenzen auch dynamisches Spiel möglich ist. Enge Bohrungen bringen einen sanften, geschmeidigen und doch kernig – folkloristischen Klang in recht tiefer Tonlage (d’ – d’’’, aber auch andere Stimmungen bis hinunter zu b – b’’) in der Lautstärke etwa der Geige.
Moderne Uilleann Pipes in Standardbauweise von H. J. Podworny, John Addison (Chanter), Th. Kannmacher (Bag, Bellows)
Die ländlich-traditionellen Musiker in Irland hatten sie schon bald nach dem ersten Erscheinen für sich entdeckt. Für die breite Masse der armen Landbevölkerung zogen die „dancing masters“ durchs Land und vermittelten der Jugend Tanzweisen und Umgangsformen im Muster der höheren Gesellschaft, und schon bald gesellten sich in den Dörfern und an den Wegkreuzungen (den „crossroads“, die sich besonders für Tanzvergnügungen eigneten) zu den Fiddle- und Flute-Spielern die Piper mit den hochmodernen Instrumenten, um die Jigs, Reels und Hornpipes aufzuspielen.
Die Große Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts halbierte die Bevölkerung der Insel durch Tod und Auswanderung und setzte der Entwicklung ein jähes Ende. Erst mit der Wiederbelebung irischer Kultur durch die Gaelic League ab ca. 1870 wurden die letzten mittlerweile alten Spieler wieder reaktiviert, und junge Enthusiasten begannen wieder zu spielen. Aber an der Musik der Konzertsäle, Opern und pastoralen Szenen von einst wollte und sollte man nicht anknüpfen. Was sich nun aufbaute, war ein gewaltiges Repertoire von gesammelten und wiederentdeckten Tanzweisen und Liedern irisch-traditioneller Prägung und die Heranbildung neuer Generationen von kunstfertigen Spielern. Dieser Prozess wurde während und nach den Weltkriegen aufgehalten, riss aber nie vollkommen ab, scheint heute immer intensiver zu werden und weltweit auszustrahlen und ließ die Uilleann Pipes zu einem der vitalsten, charaktervollsten und beeindruckendsten traditionellen Instrumente Europas werden.
Heute ist das Instrument der typischste und konsequenteste Vertreter der traditionellen irischen Musik, und längst haben die Gavotten und Menuette den Jigs, Reels, Hornpipes und Airs Platz gemacht. Viele haben sie schon gesehen oder gehört, ohne genau darauf zu achten: In der Tanzshow „Riverdance“, im Film „Brave Heart“, im Zwischendeck der „Titanic“, und natürlich in den Stücken irischer Gruppen wie „The Chieftains“, „Planxty“ u.a.m.
In Deutschland haben in den frühen 70er Jahren die ersten Folk-Musiker, die die Pipes zu spielen begannen, sie in den Händen von Finbar Furey gesehen, und sie haben das Spiel auf Workshops in Irland gelernt, ehe 1989 die DUPG auf Initiative von Andreas Rogge, dem ersten professionellen Hersteller, gegründet wurde.